Ungleiche Bezahlung: Anforderungen an die Begründung des Arbeitgebers sind hoch
05.07.2024
Arbeitgeber sind verpflichtet, den Grundsatz der Entgeltgleichheit zu beachten und umfassend zu begründen, warum sie einer Angestellten ein geringeres Gehalt als dem Kollegen in vergleichbarer Position zahlen. Die Anforderungen an die Begründung des Arbeitgebers sind dabei besonders hoch.
Wenn eine Frau gegenüber einem männlichen Kollegen in einer vergleichbaren Position schlechter bezahlt wird, muss der Arbeitgeber nachweisen, dass die Ungleichbehandlung allein auf geschlechtsunabhängigen Kriterien beruht. Falls ihm dieser Nachweis nicht gelingt, hat die Mitarbeiterin laut einer aktuellen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg Anspruch auf ein höheres Entgelt (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.06.2024, Aktenzeichen 4 Sa 26/23).
Das Urteil verdeutlicht zudem, dass die Anforderungen an den Nachweis des Arbeitgebers sehr hoch sind. Es genügt nicht, einfach nur objektive Kriterien zu nennen, die zu unterschiedlicher Vergütung geführt haben. Der Arbeitgeber muss darüber hinaus die angewendeten Unterscheidungskriterien detailliert und konkret darlegen. Dies schließt eine individuelle Bewertung und Gewichtung der Kriterien mit ein.
In diesem konkreten Fall hatte eine Arbeitnehmerin auf ein höheres Gehalt geklagt, da ihr Entgelt unter dem Median ihrer männlichen Vergleichsgruppe lag, wie sie aus einem Transparenz-Dashboard des Arbeitgebers entnehmen konnte. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg stellte fest, dass der Arbeitgeber damit gegen den Grundsatz der Entgeltgleichheit verstoßen hat.
Der Arbeitgeber hatte argumentiert, dass die männlichen Kollegen im Vergleich zur Arbeitnehmerin durchschnittlich länger im Unternehmen beschäftigt waren und dass die Mitarbeiterin unterdurchschnittlich performt habe. Obwohl die Kriterien "Berufserfahrung", "Betriebszugehörigkeit" und "Arbeitsqualität" grundsätzlich akzeptable Gründe für eine Gehaltsunterscheidung sind, waren die Angaben des Arbeitgebers für das Landesarbeitsgericht (LAG) in diesem Fall unzureichend.
Das LAG stellte fest, dass nicht klar wurde, wie der Arbeitgeber diese Kriterien konkret bewertet und gewichtet hatte. Somit konnte der Arbeitgeber keine Fakten vorlegen, die es den Gerichten ermöglicht hätten, die Einhaltung des Grundsatzes der Entgeltgleichheit wirksam zu kontrollieren und zu prüfen.
Quelle: Personalwirtschaft / Bild: depositphotos.com ID: 227027106
Kommentare (7)
Nippels
08.07.2024 08:48 Uhr Antworten
Das ist das "geile" an Deutschland. Nicht der Kläger muss etwas beweisen (wie ihn diesem Fall), sondern der Angeklagte muss seine Unschuld nachweisen können.
Wie wäre es gewesen, wenn die Klägerin in diesem Fall ihre herausragenden Leistungen hätte belegen müssen?
Irgendwer
08.07.2024 11:07 Uhr Antworten
Mal wieder ein Urteil zum Kopfschütteln. Wenn Kriterien wie "Berufserfahrung", "Betriebszugehörigkeit" und "Arbeitsqualität" wichtig, aber nicht ausschlaggebend sind - WTF - was dann? Bullshit und nicht umsetzbar....
Gast
09.07.2024 08:18 Uhr Antworten
...einfach mal unter dem Begriff "abgestufte Beweislast" googeln.
Klägerin hat dargelegt, dass sie im Vergleich zu den Kollegen schlechter vergütet wird. (Was soll die Klägerin dann noch beweisen? )
Danach muss eben der Arbeitgeber "erklären", dass es rechtfertigende sachliche Gründe gab für diese Ungleichbezahlung - und das ist ihm eben hier nicht gelungen.
Irgendwer
10.07.2024 09:29 Uhr Antworten
Einfach mal nachdenken welche Kriterien für eine finanzielle Einstufung wichtig sind. "Der Arbeitgeber hatte argumentiert, dass die männlichen Kollegen im Vergleich zur Arbeitnehmerin durchschnittlich länger im Unternehmen beschäftigt waren und dass die Mitarbeiterin unterdurchschnittlich performt habe."
Berufserfahrung, Betriebszugehörigkeit und Arbeitsqualität zählen nicht - peinlich!
Gast
11.07.2024 08:36 Uhr Antworten
Das LAG hat doch bestätigt, dasss „Berufserfahrung“, „Betriebszugehörigkeit“ und „Arbeitsqualität“ grundsätzlich zulässige Gründe für eine Differenzierung beim Gehalt sind.
Jedoch waren im vorliegenden Fall die Angaben des Arbeitgebers nicht ausreichend, da aus diesen nicht hervorging, wie er diese Kriterien im Einzelnen bewertet und zueinander gewichtet hatte.
Damit fehlte es (über 2 Instanzen) an Tatsachen, die eine wirksame Kontrolle und Nachprüfung der Einhaltung des Grundsatzes der Entgeltgleichheit durch das Gericht ermöglicht hätte.
Bürokrat
18.07.2024 16:51 Uhr Antworten
Das Gericht fodert vom Arbeitgeber den Nachweis einer Formal a la:
Grundgehalt + Jahre x 50 € + Anzahl Bildungsabschlüsse x 20 € = Gesamtgehalt.
Diese Formel soll dann "für alle" (oder zumindest für relevante Gruppen) gelten. Sowas hält natürlich kein Arbeitgeber durch - und er würde sich selbst ins Knie damit schießen, weil er nicht mehr in der Lage wäre, für wichtige Mitarbeiter finanzielle Anreize zu schaffen.
De facto läuft es in Gehaltsrunden so, dass man die Gehälter bei den Gehaltsrunden vergleicht und abschätzt: "Hm, Frau X liegt tatsächlich mit dem Stundenlohn etwas niedriger als Herr Y, aber Herr Y ist auch länger dabei, macht die Sachen echt sorgfältig und man merkt, dass er mehr Erfahrung hat. Also, beide kriegen +4%, die 200 € Differenz zwischen den beiden sind ok".
Und das reicht dem Gericht eben nicht. Und das ist schade - und traurig.
Bürokrat
18.07.2024 16:42 Uhr Antworten
"Entgeltgleichheit" klingt super, funktioniert in der Realität aber nicht einmal im öffentlichen Dienst. Dort wird zwar jeder/jede auf Basis des TvÖD bezahlt. Aber sobald jemand (den man für wichtig hält) mit einem Wechsel in die Privatwirtschaft droht, geht das Geschachere los: Höhergruppierung, Aufwertungen, ... wer diese Klaviatur beherrscht, verdient schlicht mehr als andere.
So ist es überall: Natürlich gibt es auch in privaten Firmen mehr oder weniger ausgeprägte Vorgaben für Gehälter. Aber es gibt auch immer jede Menge Sonderregeln, Alt-Verträge, ...
Ich bin kein Freund von Kungelei. Deshalb finde ich Transparenz durchaus wichtig. Aber Unterschiede müssen erlaubt sein, zumindest, wenn Sie nicht völlig willkürlich sind. Aber vor deutschen Arbeitsgerichten reicht es eben für als Begründung für ein um 200 Euro höheres Gehalt eines Mitarbeiters nicht, dass er vier Jahre länger im Unternehmen beschäftigt ist als ein anderer. Es muss dann eine Vertriebsvereinbarung geben, in der steht: Pro Jahr Betriebszugehörigkeit 50 Euro mehr. So sieht das Korsett aus, in das man sich als Unternehmen zwängen soll.