AÜG Reform – Empört Euch!
15.01.2018
Seit 1. April 2017 gilt sie nun, die Reform, die alles zum Guten wenden soll.
Sie wissen neun Monate nach Einführung noch immer nicht, was genau sich verbessert hat und worin die Notwendigkeit einer Reform bestand? Nun, wir auch nicht. Dabei sind wir keineswegs gegen Optimierung von Prozessen, als AÜ-Branchenangehörige haben wir Flexibilität und Veränderung verinnerlicht. Einzig maßgeblich ist jedoch Sinn und Zweck einer Veränderung und die AÜG Reform hat weder das eine noch das andere.
Eine Zusammenfassung:
Seit der Hartz I Reform im Jahr 2003 war u.a. die Höchstüberlassungsdauer in der Zeitarbeit abgeschafft. Das führte zu positiven Effekten, wie eine hohe Flexibilität auf Seiten der Entleiher und zu negativen Folgen, wie dem permanenten Einsatz von Leiharbeitnehmern auf Dauerarbeitsplätzen zu schlechteren Konditionen als die Arbeitnehmer des Entleihers. Der oft zitierte Mitarbeiter am Band, der viel weniger verdient, als sein Bandnachbar und Kollege, der Angestellter des Entleihers ist, findet hier seinen Ursprung.
Gegen diese negative Folge hatte das Arbeitsministerium bereits im Jahr 2012, damals noch unter Frau von der Leyen interveniert und eine Gesetzesänderung „angedroht“. Dem kamen die Zeitarbeitsverbände zuvor in dem mit den zuständigen Gewerkschaften Branchenzuschlagstarifverträge abgeschlossen wurde, die eine stufenweise Erhöhung des Tariflohns des Leiharbeitnehmers vorsahen. Wohlgemerkt des Tariflohns, denn Leiharbeitnehmer erhalten seit langem Tariflohn, der über dem Mindestlohn liegt. Die Zeiten eines CGZP-Dumpinglohns, dem die Zeitarbeit vermutlich sein schlechtes Image verdankt, sind lange vorbei. Leider gingen sie von der öffentlichen Meinung und auch vielen Politikern unbemerkt vorbei.
Heute ist die Zeitarbeit ein nicht wegzudenkender Wirtschaftsfaktor mit 901.600 Beschäftigten (Stand Oktober 2017) und wird in erster Linie aus Gründen der Flexibilität, für Auftragsspitzen oder Ausfällen genutzt. Nicht umsonst haben Einsatzbranchen wie Metall- und Elektro seit langem einen Tarifvertrag, der sich einzig mit dem Einsatz von Zeitarbeit befasst. Im sog. TV-LeiZ sind die Bedingungen geregelt, unter denen Metall- und Elektrounternehmen Leiharbeitnehmer einsetzen können. U.a. findet sich dort die Vorgabe, einem Leiharbeitnehmer nach einer Einsatzdauer von 24 Monaten einen Arbeitsvertrag anzubieten.
Dabei ist die Metall- und Elektrobranche sicher eine der größten Einsatzbereiche aber bei weitem nicht der einzige. Es gibt Ärzte, Anwälte, Ingenieure etc. die als Leiharbeitnehmer eingesetzt werden, nicht zu vergessen die Informatiker und IT-Experten. Im Helferbereich gibt es noch immer ein Überangebot. Allerdings ist auch in diesem Bereich die Zeitarbeit nicht Nutznießer und Ausbeuter sondern leistet Hilfestellung. Wer sonst stellt einen Helfer heute noch fest ein, der mehr als den Mindestlohn erhält und dessen Arbeitsleistung vielfach ersetzbar ist? Das Argument, die Zeitarbeit entlässt auch genauso schnell wie sie einstellt, greift dabei keineswegs. Zwar bieten die Tarifverträge eine verkürzte Kündigungsmöglichkeit. Das aber nur in den ersten Wochen. Nach Ablauf der Probezeit ist es de facto für ein Verleihunternehmen schwerer als für jedes andere Unternehmen, eine betriebsbedingte Kündigung auszusprechen, weil ein Auftragsmangel keine Begründung darstellt. Die Bundesagentur für Arbeit als Prüfbehörde sagt hierzu eindeutig, es sei gerade das Geschäft eines Verleihers, auch kurzfristige Einsätze abzudecken und stets für eine Anschlussbeschäftigung zu sorgen, weshalb der Mangel an Anschlussbeschäftigungen nicht als Kündigungsgrund herhalten kann.
Die Entwicklungen am Arbeitsmarkt insbesondere der Fachkräftemangel sind an der Zeitarbeit nicht vorüber gegangen, weshalb heute eine Vergütung, die oberhalb des Branchenlohnes liegt, keine Seltenheit ist. Quer durch alle Bereiche, von den Eisenbahnern, über Pflegekräfte bis zu Werkstoffprüfern müssen Verleiher Anreize bieten, um Arbeitnehmer zu finden. Es liegt auf der Hand, dass hierbei Vergütung und Annehmlichkeiten ausschlaggebend sind, weshalb der Standpunkt, Zeitarbeit stehe stets im Zusammenhang mit Dumpinglöhnen und prekärer Beschäftigung längst überholt ist und auf Unkenntnis schließen lässt.
Warum also eine Reform?
Ausgangspunkt war wohl eine Talkshow in der Frau Merkel zu Gast war und in der sie von einem Leiharbeitnehmer gefragt wurde, wie es sein kann, dass er seit Jahren die gleiche Arbeit verrichtet, wie ein Stammarbeitnehmer im entleihenden Betrieb, von dessen Lohn aber nur einen Bruchteil verdient.
Frau Merkel soll daraufhin ihrer Frau Nahles dieselbe Frage gestellt haben, welche wiederrum sofort eine Gesetzesinitiative ankündigte. Welchen irrwitzigen Weg diese Reform des AÜG nahm, lässt sich an ihrer Historie ablesen. Kern jedenfalls ist u.a. die (Rück-)Einführung einer Höchstüberlassungsdauer. Es gab sie in der Vergangenheit in unterschiedlicher Länge, 2003 wurde sie abgeschafft, seit 2017 gilt sie wieder in Form von 18 Monaten oder länger nach Entleiher Tarif.
Dass die Reform nicht ansatzweise eine Antwort auf die Frage des Talkshowgastes bzw. dem generellen Problem des Dauereinsatzes gibt, war Branchenkennern sofort klar. Unabhängig davon, dass man die Umstände der Überlassung des Talkshowgastes differenzierter betrachten müsste, um überhaupt eine Antwort geben zu können - schließlich sieht das AÜG seit langem den nur vorübergehenden Einsatz vor und kann ein Betriebsrat den dauerhaften Einsatz von Zeitarbeit unterbinden - so führt die Höchstüberlassung schlichtweg nicht zu einer Besserstellung des Leiharbeitnehmers sondern schadet ihm.
Das deshalb weil der Leiharbeitnehmer nach 18 Monaten längst den Entleiher-Lohn nebst sämtlicher Vergütungsbestandteile, das sog. Equal-Pay erhält, durch die Höchstüberlassungsdauer nun aber wieder aus dem Entleihbetrieb abgezogen wird, um an einen anderen Entleiher überlassen zu werden, bei dem er wieder in der ersten Stufe des Vergütungsmodells anfängt und somit seine über die Dauer erarbeitete Lohnhöhe verliert.
Erhält unser Talkshowgast durch die Reform also mehr Geld, dann nur für kurze Zeit. Nach 18 Monate ist Schluss mit der Überlassung und die Chancen auf eine Übernahme in den Entleihbetrieb sind dahin. Drücken wir ihm die Daumen, dass im nächsten Entleihbetrieb und im übernächsten, Arbeitsbedingungen herrschen, die für ihn überhaupt erstrebenswert sind. Eine dauerhafte Überlassung zu den Bedingungen von Stammarbeitnehmern, wie er sie sich wünschte wird es weder für ihn noch sonst wen geben.
Dabei hätte die Ausweitung der Branchenzuschlagstarifverträge bzw. die konsequentere Umsetzung des ohnehin im AÜG verankerten Grundsatzes der Gleichstellung, ausgereicht um seine Situation und die vieler Leiharbeitnehmer zu verbessern. Weil kaum ein Unterschied vorstellbar ist, zwischen der Anstellung beim Verleiher oder beim Entleiher, solange die Konditionen des Entleihbetriebs gelten. Ungeachtet dessen, dass noch nie jemand erklärt hat, warum jeder Entleiher besser ist als ein Verleiher. Aber das nur am Rande. Das Equal-Pay Prinzip führt letztlich dazu, dass dem Leiharbeitnehmer zwei Vergütungssysteme zur Verfügung stehen und er sich die Rosinen rauspicken darf. Nach dem Günstigkeitsprinzip ist nämlich stets das jeweils höhere zu zahlen.
Durch die Höchstüberlassungsdauer jedoch hat der Gesetzgeber eine Ungerechtigkeit gegenüber dem Leiharbeitnehmer festgeschrieben, deren Sinn kein Arbeitgeber der Welt vermitteln kann. Alle drei Beteiligten sind nun gezwungen, ein eingespieltes System, das längst nicht mehr auf Kosteneinsparung gründet, einzustellen, weil hierdurch vermeintlich der Arbeitnehmer geschützt wird. Dass es hierzu (trotz Kündigungserschwernis) ggf. zu vermehrten Kündigungen kommen wird und der Leiharbeitnehmer seinen Anspruch auf Equal-Pay regelmäßig wieder verliert, ist absehbar.
Hinzu kommt die Berechnung der Höchstüberlassungsdauer, zu der der Gesetzgeber in seiner Weisheit schweigt, die nun aber auch niemand anderes kennt. Fest steht, eine Unterbrechung von mehr als drei Monaten begründet den Neubeginn der Frist. So weit so einfach. Bei genauer Betrachtung und Umsetzung, z.B. durch die Anbieter von Zeitarbeitssoftware ist nichts mehr einfach. Was bedeutet „länger als drei Monate“? Drei Monate und ein Tag? Drei Monate und eine Sekunde? Was ist mit Nachtschichten?
Und es wird besser: maßgeblich soll nämlich nicht die tatsächliche Einsatzdauer sein sondern die vertragliche. Heißt, bei Rahmenverträgen, die oft und gern in der Praxis abgeschlossen werden und bei denen der Entleiher lediglich für den konkreten Einsatz Personal abruft, gilt nun also die Laufzeit des Rahmenvertrags. Wird in der Praxis auf der Grundlage eines solchen Vertrags tatsächlich nur sporadisch Personal abgerufen und kommt innerhalb von 18 Monaten nur wenige Tage zum Einsatz, ist dennoch die Höchstüberlassungsgrenze erreicht, mit dem Ergebnis, dass ab sofort ein anderer Mitarbeiter zum Einsatz kommen muss. Worin besteht hier der Schutz des Arbeitnehmers? Der Entleiher bekommt nicht mehr den Mitarbeiter, den er kennt, der seine Abläufe kennt, den er nicht mehr einarbeiten muss. Der Leiharbeitnehmer kann nicht mehr dorthin wo er sich auskennt. Der Verleiher hat einen unermesslichen Verwaltungsaufwand zu bewerkstelligen, um die Fristen aller Mitarbeiter zu kontrollieren.
Sie denken sich, irgendwo wird die Wirkung schon greifen, um jedenfalls die Besetzung eines dauerhaft bestehenden Arbeitsplatzes durch Zeitarbeit zu verhindern? Weit gefehlt. Der Entleiher darf weiterhin seine Arbeitsplätze mit Leiharbeitnehmern dauerhaft besetzen. Nur nicht mit ein und demselben Leiharbeitnehmer. Die Höchstüberlassungsdauer ist personenbezogen, nicht arbeitsplatzbezogen.
Folge der Höchstüberlassung ist also nicht die Erhöhung Stammarbeitnehmernzahl sondern einzig eine unglaubliche Verwaltung, weil rotierende Systeme eingerichtet werden. Mitarbeiter A wird durch Mitarbeiter B ersetzt und geht nach Ablauf der Unterbrechungszeit wieder zurück. Das ist auch nicht neu für die Verleiher, weil sie das alles schon einmal hatten und als überwunden glaubten.
Als Gesetzeszweck wird die Verhinderung und Eindämmung derjenigen Werkverträgen genannt, die im Grunde Arbeitnehmerüberlassung darstellen. Warum nun plötzlich Arbeitnehmerüberlassung besser ist als ein Werkvertrag erschließt sich nicht gänzlich. Schließlich handelt es sich bei einem Werkvertrag schlicht um eine rechtliche Form, die nicht per se falsch sein kann und kommt es noch immer auf die Umsetzung an, die entweder legal oder illegal ist aber auch schon bisher war. Jedenfalls gab es bis März 2017 die sog. Fallschirmlösung, nach der die Beteiligten einen Werkvertrag abschlossen, vom Auftragnehmer aber gleichzeitig das Vorhalten einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung gefordert wurde. So konnte verhindert werden, dass im Nachgang eine erlaubnislose Arbeitnehmerüberlassung festgestellt wurde, welche nach §§9, 10 AÜG das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer zur Folge hat. Das ist in dieser Form durch das Offenlegungsgebot nicht mehr möglich.
Nur, sind diese Werkverträge tatsächlich eingedämmt, wie werden derlei Aufträge rechtlich dann erfasst? Doch sicher über die vom Gesetzgeber ungeliebte Arbeitnehmerüberlassung, die schließlich dem Charakter des Werkvertrags am nächsten steht. Die Reform bringt also nicht weniger Arbeitnehmerüberlassung und höhere Einstellungsquoten bei entleihenden Unternehmen, sie bringt de facto mehr Arbeitnehmerüberlassung bei noch höherer Reglementierung.
Man denke nur an das antiquierte Formerfordernis des Überlassungsvertrags. Dieser muss im Vorfeld der Überlassung schriftlich, also mit beiderseitiger Originalunterschrift geschlossen sein, was Fax, E-Mail, Telefon etc. ausschließt und völlig unnötig mehrere Tage in Anspruch nimmt. Bedenkt man, dass Personalanfragen z.B. wegen Erkrankung eines Mitarbeiters häufig noch für denselben Tag oder spätestens den nächsten, gestellt werden, kann man nachvollziehen, dass das Formerfordernis im Grunde durch die Praxis abgeschafft war. Zwar wurden für die Betriebsprüfungen, die in der Zeitarbeitsbranche überproportional häufig stattfinden (noch so ein unterschwelliger Misstrauensbeweis), die Verträge im Nachgang ordnungsgemäß gefertigt. Nicht selten lief die Überlassung dabei aber schon und war der Vertrag lediglich für die Akten.
Bisher war das nur in Streitfällen ein Problem. Dass die Vergütung dem Verleiher trotzdem zustand, war in der Rechtsprechung gefestigt. Lediglich etwaige Haftungsfragen konnten ohne Vertrag nur anhand der Gesetzeslage geklärt werden, was jedoch weder für die eine noch für die andere Seite eine höhere Gefahr darstellte sondern eben einzelfallspezifisch ausging.
Durch die Reform geht das Schriftformerfordernis in Gestalt des neu eingeführten Offenlegungsgebots zu Lasten des Entleihers, was bedeutet, ohne schriftlichen, im Vorfeld der Überlassung geschlossenen Vertrag, kommt wiederrum ein Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher zustande. Der Mitarbeiter kann dem wiedersprechen. Allerdings nur innerhalb von einem Monat ab Überlassungsbeginn. Wird der Sachverhalt nach Ablauf der Frist überhaupt erst festgestellt, verpufft die Möglichkeit der sog. Festhalteerklärung. Hier waren eindeutig Pragmatiker am Werk.
Für eine Branche, deren Kern die Flexibilität ist, die in einem Wirtschaftsmarkt gewachsen ist, der Flexibilität einfordert, ist eine solche Reglementierungswut destruktiv und ruinös. Jedenfalls verursacht sie Kosten, die irgendwer bezahlen muss.
Vielleicht hätte unser Talkshowgast nicht ins Fernsehen sondern zum Arbeitsgericht gehen sollen.
Teilen Sie uns Ihre Meinung mit, diskutieren Sie mit uns, empören Sie sich oder verteidigen Sie die Reform…wir freuen uns auf Ihre Nachrichten.
Ihr Personalorder-Team
Kommentare (1)
andre
08.02.2018 11:24 Uhr Antworten
Genau so sieht es aus, Nutzen für Arbeitnehmer gleich null, Aufwand und Hürden für Dienstleiter und Kunden exorbitant!
Politik von Theoretikern für die Praxis hat noch nie funktioniert und das bleibt auch so!