Entgeltfortzahlung bei Krankheit: Tarifliche Berechnungsregel geht dem Gesetz vor
21.04.2004
Urlaub und Krankheit
Nach § 4 Absatz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) muss der Arbeitgeber einem erkrankten Mitarbeiter für die ersten 6 Wochen das diesem bei der für ihn maßgeblichen regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt fortzahlen. Dies lässt sich noch unkompliziert berechnen. Kommt aber ein Haustarifvertrag ins Spiel, der eine eigene Regelung zur Entgeltfortzahlung trifft, wird es kompliziert.
In diesem Fall fragen sich viele Arbeitgeber, was denn nun gilt: Die gesetzliche Regelung oder die Vereinbarung im Tarifvertrag. Das Bundesarbeitsgericht hat darauf nun eine Antwort gegeben.
Die Erfurter Richter mussten jetzt einen Fall entscheiden (personalorder.de berichtete), in dem der Mitarbeiter eines Automobilkonzerns mit der Höhe seiner Entgeltfortzahlung nicht einverstanden war. Der Oberflächenbearbeiter arbeitete in dem Schichtbetrieb tatsächlich 37,5 Stunden pro Woche. Bezahlt wurden ihm aber nur 35 Stunden. Die restlichen 2,5 Stunden pro Woche wurden einem Freizeitkonto gutgeschrieben. Der bei dem Automobilhersteller bestehende Tarifvertrag zur Standortsicherung sah jedoch eine im Jahresdurchschnitt regelmäßige Arbeitszeit von 28,8 Stunden pro Woche vor. Und auch der geltenden Manteltarifvertrag enthielt noch eine wichtige Regelung: Nach ihm sollte sich die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall an der nach dem Schichtplan maßgeblichen regelmäßigen Arbeitszeit bemessen. Kein Wunder, dass sich bei derart vielen Regelungen beim Arbeitgeber Konfusion breit machte, wie hoch die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall tatsächlich sein sollte.
Vor dem Arbeitsgericht und auch vor dem Landesarbeitsgericht hatte der Mitarbeiter sich noch damit durchgesetzt, dass ihm im Krankheitsfall eine Entgeltfortzahlung für eine 35-Stunden-Woche zustehen würde. Doch die Bundesrichter sahen dies anders. Nach ihrer Auffassung konnte der Oberflächenbearbeiter nur eine Entgeltfortzahlung für 28,8 Stunden pro Woche verlangen. Sie entschieden, dass in diesem Fall der Manteltarifvertrag die Höhe der Entgeltfortzahlung bestimme. Zwar sehe die gesetzliche Regelung in § 4 Absatz 1 EFZG vor, dass sich bei einem Arbeitnehmer im Krankheitsfall die Entgeltfortzahlung nach der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit berechne. Dabei sei die individuelle Arbeitszeit des Mitarbeiter ausschlaggebend. Andererseits erlaube das Gesetz nach § 4 Absatz 4 EFZG aber auch eine Abweichung von der gesetzlichen Berechnungsmethode, wenn eine solche in einem Tarifvertrag vereinbart werde. Eine solche habe bei dem Automobilhersteller in dem Manteltarifvertrag bestanden. Die Bundesrichter stellen klar, dass es zulässig sei, wenn ein Tarifvertrag als Grundlage für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung statt der individuellen Arbeitszeit die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit bestimmen würde. Eine solche tarifvertragliche Vereinbarung sei kein unverhältnismäßiger Eingriff in den gesetzlichen Grundsatz der vollen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Bundesarbeitsgericht Erfurt; Urteil vom 24. März 2004; Aktenzeichen: 5 AZR 346/03
(Quelle: Personalverlag)