02.01.2006
AMP (Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister e.V.) und CGZP (Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften Zeitarbeit und PSA) haben die geltenden Tariflöhne bis zum 30.06.2006 verlängert. Allerdings hat die Gewerkschaftsseite für die weitere Tarifrunde 2006 ausdrücklich auch die Vereinbarung rückwirkender Tariflohnerhöhungen nicht ausgeschlossen. Kann sich also das „Weihnachtsgeschenk“ für Personaldienstleister, die ihre Mitarbeiter nach AMP-Tarifen vergüten, als Büchse der Pandora erweisen? Müssen Arbeitgeber, wie von mancher Seite befürchtet, Rückstellungen bilden, um im Juli erhebliche Nachzahlungen bewältigen zu können? Zur Zulässigkeit rückwirkender Tariflohnerhöhungen haben wir den geschäftsführenden Direktor des Instituts für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Leipzig, Prof. Dr. Burkhard Boemke, befragt.
personalorder.de: AMP und CGZP haben sich auf eine Verlängerung der Tarifentgelte bis zum 30.06.2006 geeinigt, aber CGZP zugleich Verhandlungen über rückwirkende Tariflohnerhöhungen in den nächsten Verhandlungsrunden angekündigt. Was bedeutet dies?
Prof. Dr. Boemke: Zunächst einmal können Arbeitgeber, die in ihren Arbeitsverträgen die Geltung des AMP-Tarifvertragswerks mit ihren Mitarbeitern vereinbart haben, weiterhin mit den bisherigen Stundensätzen kalkulieren. Die Tariflöhne erhöhen sich bis zum 30. Juni 2006 nicht.
personalorder.de: Nun hat aber CGZP bereits deutlich gemacht, dass sie in der neuen Verhandlungsrunde unter Umständen auch auf eine rückwirkende Tariflohnerhöhung fordern werden. Stecken hier nicht für den AMP-Tarifanwender unkalkulierbare finanzielle Risiken.
Prof. Dr. Boemke: „Pacta sunt servanda“, Verträge müssen eingehalten werden. Das gilt auch für Tarifvertragsparteien. Eine Einigung bis zum 30. Juni 2006 bedeutet, dass gegen den Willen von AMP die Tariflöhne nicht neu verhandelt werden können. Bis zum 30. Juni 2006 sind die Löhne vertraglich fixiert, nur ab dem 1. Juli 2006 sind die Tariflöhne offen.
personalorder.de: Gegen den Willen von AMP läuft also nichts. Wie aber sieht es aus, wenn AMP im Juli sich mit einer rückwirkenden Tariflohnerhöhung, z. B. zum 1. April oder sogar zum 1. Januar 2006, einverstanden erklärt?
Prof. Dr. Boemke: Auch hier können AMP-Tarifanwender beruhigt sein. Tarifliche Entgeltregelungen haben nach § 4 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz (TVG) den Charakter von Gesetzen. Daher gelten hinsichtlich der Zulässigkeit einer Rückwirkung die für Gesetze entwickelten Grundsätze. Danach ist eine echte Rückwirkung von Gesetzen grds. unzulässig. Ein abgeschlossener Lebenssachverhalt kann nicht durch ein späteres Gesetz zum Nachteil eines Beteiligten abweichend geregelt werden. Ein Beispiel soll dis verdeutlichen: Sie erwerben im Dezember 2005 ein Mercedes S-Klasse zum Preis von 130.000 € zzgl. 16% Umsatzsteuer. Dann sind sie verpflichtet, auf den Kaufpreis von 130.000 € Umsatzsteuer in Höhe von 16% zu entrichten. Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn der Bundestag im Januar 2006 beschließen sollte, die für den 1.1.2006 vorgesehen Umsatzsteuererhöhung auf 19% rückwirkend zum Tag der Deutschen Einheit, also zum 3. Oktober 2005, in Kraft treten zu lassen. Der umsatzsteuerpflichtige Vorgang ist vollständig abgeschlossen. Nachträglich dürfen Ihnen keine neuen Lasten auferlegt werden.
personalorder.de: Was beutet dies für die vereinbarte Tariflohnverlängerung?
Prof. Dr. Boemke: Eine Tariflohnerhöhung ist grds. nur mit Wirkung für die Zukunft zulässig. Einem Arbeitgeber dürfen nicht für die Vergangenheit höhere Lohnzahlungspflichten auferlegt werden.
personalorder.de: Herr Prof. Dr. Boemke, gibt es von diesem Rückwirkungsverbot auch Ausnahmen?
Prof. Dr. Boemke: Ja, das Rückwirkungsverbot gilt nicht, soweit kein schutzwürdiges Vertrauen besteht. Fordert z. B. die CGZP für die Zeit ab dem 1. Juli 2006 deutliche Steigerungen der Tariflöhne, kommt aber eine Einigung über Neuregelungen mit dem AMP erst nach diesem Zeitpunkt, z. B. im August 2006, zustande, dann kann diese Vereinbarung auf den 1. Juli 2006 zurückwirken. Der entsprechende Tarifvertrag war ausgelaufen und auf Grund der CGZP-Forderung mussten die Tarifanwender mit einer Neuregelung der Tariflöhne ab diesem Zeitpunkt rechnen.
personalorder.de: Wird aber nicht schon durch die Ankündigung der CGZP, rückwirkende Tariflohnerhöhungen zu verlangen, das Vertrauen der AMP-Tarifanwender auf Geltung der Tariflöhne bis zum 30. Juni 2006 beseitigt?
Prof. Dr. Boemke: Nein. Die CGZP hat sich bis zum 30. Juni 2006 gebunden. Die AMP-Mitglieder und sonstigen Tarifanwender müssen auf Grund einer einseitigen Erklärung der CGZP nicht damit rechnen, dass der AMP sich damit einverstanden erklärt, einen abgeschlossenen Lebenssachverhalt rückwirkend zum Nachteil seiner Mitglieder zu regeln. Sie dürfen auf den Rechtsgrundsatz „pacta sunt servanda“ vertrauen.
personalorder.de: Wenn sich CGZP und AMP im August 2006 auf eine rückwirkende Tariflohnerhöhung zum 1. Juli 2006 einigen, kann diese Rückwirkung individualvertraglich abbedungen werden?
Prof. Dr. Boemke: Nein. Soweit beiderseitige Tarifbindung besteht, ist dies nicht zulässig. Tariflöhne sind Mindestlöhne, die einzelvertraglich nicht unterschritten werden dürfen (§ 4 Abs. 3 TVG). Allerdings besteht nach der Rechtsprechung des BAG die Möglichkeit, individualvertraglich gewährte Zulagen auf eine Tariflohnerhöhung anzurechnen. Dies ist auch bei rückwirkenden Tariflohnerhöhungen möglich und zulässig, wenn eine entsprechende Regelung vereinbart wurde.
personalorder.de: Wie kann eine Vereinbarung getroffen werden?
Prof. Dr. Boemke: Ich habe die Ankündigung von CGZP zum Anlass genommen, meine Musterarbeitsverträge, die über www.personalorder.de vertrieben wird, um eine entsprechende Anrechnungsregelung zu ergänzen. Zugleich habe ich in Reaktion auf die neuere Rechtsprechung des BAG im letzten Jahr sowie im Hinblick auf gesetzliche Neuregelungen einige weitere, geringfügige Anpassungen und Ergänzungen meiner Musterarbeitsverträge vorgenommen. Es steht Ihnen hiermit ein bewährtes Vertragsmuster zur Verfügung, das den Interessen der Personaldienstleister unter Berücksichtigung der aktuellen Aktivitäten des Gesetzgebers und der neuesten Entwicklungen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung umfassend Rechnung trägt.
personalorder.de: Herr Prof. Dr. Boemke, wir danken Ihnen für dieses informative Gespräch.
Herr Prof. Dr. Burkhard Boemke ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Arbeits- und Sozialrecht an der Juristenfakultät der Universität Leipzig.